"Jeder zweite Deutsche schreibt" (NDR-Serie 1990)

NDR - SCHULFUNK UND BILDUNG
Jeder zweite Deutsche schreibt
Sendereihe im März 1990 von Angela Pietrzik und Frederike Frei, 5 Folgen:

1. März: Eine Dichterdemonstration ist der Auftakt zu einer Schreibbewegung, die mehrere Jahre lang die Literaturlandschaft in Atem hält. Die Jungautorin Frederike Frei protestiert gegen den Literaturbetrieb, indem sie ihre Gedichte im Bauchladen statt unterm Buchdeckel austrägt und eine Schar Gleichgesinnter um sich sammelt, die sich als 'ALO' (Außerliterarische Opposition) versteht. Es geht ihnen darum, ihre Betroffenheit in eigenen Worten unter die Leute zu bringen, da sie Texte über den Kreißsaal oder die AKW-Demo in der herrschenden Literatur vermissen.

8. März: Die Zahl der Alltagsschreiber/innen wächst in kurzer Zeit so an, daß eigene Räume gesucht werden. Das neugegründete Literaturpostamt wird von der Deutschen Bundespost höflich, aber bestimmt gebeten, sich umzubenennen. Die therapeutischen bis experimentellen Texte werden in von der Bundespost ausrangierten Briefverteilerschränken nach Themen sortiert.

15. März: Von stillen Lesungen wechselt man über zu "Rundumlesungen" oder zum Markthallen-Abend "Blühen und Brüllen". Mit Grubenlampe oder im Pappkarton, im Redegewand am Stehpult, im Liegestuhl oder auf der Leiter veröffentlichen sie sich und ihre Texte.

22. März: Eine Front zwischen Profischriftstellern und Alltagsschreibern bahnt sich an. Die Kulturbehörde druckt sämtliche Autorennamen von Voll- und Halbprofis unterschiedslos nebeneinander im Literatrubel-Programm aus. "Nachforschungsantrag" ist der Titel einer Diskussion der Literaturpost "Wer hat das Wort".

29. März: Die Schreibbewegung hat überall Fuß gefaßt, keine Schule oder Volkshochschule mehr ohne Schreibanimation. Die Literaturpost benennt sich um in Literaturlabor, um den Volk nicht nach dem Munde zu reden, sondern aufs Maul zu schauen. "Wir schreiben nicht, was wir erleben, sondern wir erleben, was wir schreiben." (Frederike Frei)

NDR
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