Auftritte

Mit Lyrikbauchladen, als "Bundesdichterin" oder in der "Nacht der LiteratHuren" - Reaktionen auf Auftritte seit den Siebzigern.

Bundesdichterin

G. Hl. in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.8.1977

Durch den Ausstellungsbesuch verwiesen auf Ego-Trip und Seelen-Lifting, kann er sich auf den Treppenstufen zum Fridericianum andichten lassen von einem Mädchen. Man kann bei ihr Verse in Auftrag geben wie einst Herzog Friedrich von Österreich bei Walther von der Vogelweide. Einen Hofdichter leistet sich heutzutage nur noch Queen Elizabeth, doch was ist dieser würdige alte Herr verglichen mit der schönen Frederike vorm Fridericianum. Ihr Kunde setzt sich mitten unter den Müßiggängern auf ein Stühlchen vor sie und wird gebeten, - Brille ab! - ihr erst mal auf kurze Distanz und sehr lange in die blaugrauen Augen zu schauen. Dabei nimmt sie Maß für die seelische Prothese und notiert auf einem schmalen Karton ihre Einfälle. Aus ihnen fertigt sie, zwischendurch herzhaft in eine Bockwurst beißend, auf der Kehrseite des Kartons das Gedicht. So läßt sie es an Einblicken in ihre Arbeitsweise nicht fehlen. Lebhaft bestreitet sie, mit vorgefertigten Sätzen zu operieren, ein Verdacht, den ihre ersten Zeilen nahelegen: 'Als deine Augen / laufen lernten / haben sie sich oft verirrt...' "Nein", sagt sie, "Schwindeln wäre mühsamer, als alles neu machen." Sie paßt dem Klienten sein Gedicht an wie die Optikerin - Auge in Auge - die neue Brille. Gebrauchslyrik auf dem Jahrmarkt; ein Schattenriß aus Sprache - wer wagte danach noch, an der Zukunft der Poesie zu zweifeln? Mühelos überflügelt das auf altmodische Weise handgemachte und an­gemessene Gedicht den fotografierten und leicht reproduzierten Button. Es ist die demokratisierte Erfüllung eines luxuriösen Sonntagswunsches aus der versinkenden Epoche des Individualismus.

FAZ

H. E. Happel in Nordsee-Zeitung, Oktober 1985

Mit Rira und anderen Geräuschinstrumenten begleitete sie die Rezitation ihrer Gedichte: 'Mein Kopf - ein Verkehrsknotenpunkt'. Frederike Frei hat vor 15 Jahren angefangen, ihre Texte auf Hamburger Wochenmärkten zu rezitieren. Jeder Text hat seinen Ort, sagt sie und findet immer neue Orte, wo sie verbreitet werden können. Ein Gedicht über die Straße, in der sie wohnt, hängt sie in alle Hauseingänge, in Wartezimmer, in Arbeitsämter und Kliniken, in Textschaukästen an U-Bahnhöfen. Frederike Freis Ziel: die Vorherrschaft des Buches vor anderen Formen abzubauen, um die Buchform wieder ans Ende eines Weges zu rücken. Sie liest ihre Gedichte nicht vom Blatt. Ihr Vortrag ist ein Sprechgesang, der dem Vortrag Rhythmus und Dynamik gibt. Daß lyrische Sprache einen eigenen Ton hat und dieser Ton einen 'wirklichen' Raum braucht, wo er gemacht und gehört werden kann, Frederike Freis Vortragsweise läßt die Anwesenden diesen meist vergessenen Zusammenhang wiederentdecken. Vielleicht ist das der Grund dafür, daß sie sich bis heute dem herrschenden Literaturbetrieb entzieht, obwohl ihre Texte eine Qualität haben, nach der zwischen Buchdeckeln der letzten Jahre lange gesucht werden muß. Zu sehen und zu hören war... eine Dichterin, kein kleiner Satz, aber wahr.

Nordseezeitung

Hadayatullah Hübsch in Frankfurter Neue Presse vom 30.6.86

Jedoch, was sie an Musikalität entfesselte, entsprach in seinem Grundton nicht jener schwindelerregenden poetischen Höhe, zu der sich Frederike Frei aufschwang. Sie, die eigentliche Entdeckung des Abends, ließ, sich ihrer Sätze und Wirkungsweise wohl bewußt, ein Feuerwerk an Wortspielen, treffsicheren Gedankensprüngen, ironischen Hiobsbotschaften aus der Beziehungskiste und Sprachwirbel los, daß es den Atem verschlug. Mit einer Ratsche in der Hand imitierte sie den Autoverkehr vor ihrer Hamburger Wohnung, das Großstadtgefühl der Verwirrung und Loslösung von ichbezogenen Erlebnissen, und dies in einem atemberaubenden Tempo, frei weg, auswendig, als seien ihre Augen zu schade für ein Vorlesen, weil sie sich lieber in den glänzenden Nebel ihrer Fantasie verirren wollten denn an Buchstaben kleben zu bleiben. Ihre Gedichte führt sie in einem übergroßen Tapetenbuch, mit Silberpapier eingeschlagen, mit sich herum; und, frei von Attitüde, mit genug Selbstironie, um zum Gelächter zu zwingen, singsangte sie ihre herrlich unbekümmerten Balladen.

Frankfurter Neue Presse

taz Juli 1987

Frederike Frei: Lyrik fünf Mark, Prosa drei Mark

Inmitten von André Hellers 'Luna Luna' hat sich die selbsternannte Bundesdichterin Frederike Frei aufgestellt und dichtet im Auftrag. (...) Vor fünf Jahren hat sie das zuletzt in Kassel auf der Documenta gemacht, aber die Zeiten ändern sich und Beuys ist auch tot. Im Eichborn-Verlag erschien ein neues Buch von FF. Ich dich auch. Es kann ebenfalls auf der Moorweide erworben werden. Über die taz: "Sie lebt so hin von taz zu taz und schreibt meistens für die Katz, die Redaktion, die hat der Satz und wenn sie stirbt dann steht das in der FAZ, FF". Über den Kaufhof: "Käpt'n Kaufhof pflügt durchs Steinerne Meer / Still, steil, steril, wacht er über Persil Spielzeugkrokodil und kennt nur ein Ziel: viel. FF"

taz

Christine Clausen in STERN 13/1989 zur Tournee "DIE LITERATHUREN" (Frederike Frei, Doris Lerche, Martina Frenzel, Cornelia Arnhold)

"Ihr Nichtleser, Anleser, Querleser, Trendleser, Blätterer, Aha­denker, Fußvolk, Insider, Zeilenschänder, Satzlecker", wütet eine schulterfreie, kesse Blonde mit blitzendem Blick in Richtung des Halbdunkels. Das Theater in Markdorf am Bodensee war früher eine Scheune, heute ein echtes Barockjuwel mit tiefrotem Vorhang, die 4. Station der "LiteratHuren". Striptease-Parodien im Rotlichtdschungel der Literatur, ein Seilakt zwischen Literatur und Vermarktung, karger Kunst und geilem Geld. Frederike Frei hat durch die Arbeit am Programm "überhaupt erst gemerkt, wie sehr ich in das Thema passe." Jetzt schreibt sie selber einen Porno. "Ich nenne ihn liebevoll 'meinen Pornio'. Er beginnt so: 'Intercity. Triebwagen'. Na, usw."

Stern

Harald Martenstein in TAGESSPIEGEL Berlin August 1988

Wahrscheinlich ist das mit der Literatur eher ein Distributions­ als ein Produktionsproblem. Soll heißen: Zum Schreiben drängt es die Menschen weiterhin in reicher Zahl, nur lesen will der träge Normalmensch immer weniger. Da braucht es Literaturmarketing. Textverpackungsexpertinnen mit dem Showtalent einer Frederike Frei. Vor ein paar Jahren zog Frau Frei mit "Bauchladenliteratur" über Märkte und durch Messen, kleinen Zettelchen mit garantiert selbstgedichteten Sätzen drauf - Prosa drei Mark, Lyrik fünf Mark. Das ging. Jetzt hat sie den Schwerpunkt ihres literarischen Kosmos vom Bauch sozusagen eine Handbreit nach unten verlegt. Frauen und Erotik, das ist als Thema einerseits brandaktuell, andererseits ewig, entsteht so nicht Weltliteratur? Seit Monaten sind sie erfolgreich auf Lesetournee, welcher unbekannten Literatin gelingt das schon? Um vom Schreiben zu leben, muß man sowieso auf den geistigen Strich gehen, das haben die vier begriffen.

Tagesspiegel
up