Kommentar
Ich schreibe Lyrik und Prosa.
Die Leute lesen aber weder Lyrik, noch Prosa,
sondern Zeitung.
Meine Gedichte sind Nachrichten,
die ich in der Tagespresse vermisse. Zufällig
sehen sie wie Kolumnen aus. Immer dieser Flattersatz
in der Lyrik. Wie sieht das denn aus. Bei mir
ist jede Zeile gleichlang, ordentlich und gerecht.
Nichts steht über, ragt raus, stört.
Eine gut gestutzte Hecke: echt deutsch und wirklich
innerlich.
Umgekehrt lese ich Zeitung wie
Lyrik, jede Zeile für sich. Im Zeilenbruch
findet man ganz neue Wörter! Die kapitali/stisch
betriebene/ Wirtschaft... Kapitali! Und wie wird
Wirtschaft betrieben? Stisch. Jetzt weiß
man's.
Jede Nachricht steht doch in
Form von Lyrik ganz anders da. dpa hat ja keine
Ahnung. Letzten Endes ist jeder Zeitungskiosk
ein Elfenbeinturm. |
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DAS HOTEL
Ich persönlich könnte
genausogut tot sein. Hauptsache, Leute wie ich
machen die Stadt schön groß. Wie die
Gäste sich mitten in Hamburg fühlen
und doch hausen sie nur auf dem fetten roten Fleck
der norddeutschen Landkarte. In meiner Gegend
leben welche auf dem Mond. In den zieht man doch
nicht ein. Vielleicht sollte ich mich diesen Finnen
und Fremden, diesen Frauen und Franzosen einmal
vorstellen? Sicher wollen sie wissen, wie die
Ferne aussieht in der Nähe. Sehen Sie, auf
diesen Kantstein stelle ich meine Füße,
den Briefkasten dort suche ich täglich heim,
hier diese Litfaßsäule lasse ich immer
links liegen und verrenn mich abends in meine
Wohnung, in der mir niemand über die Schultern
guckt, wenn ich z. Beispiel zum Staubtuch greife
oder doch? Hätten Sie Interesse? Meinen ganzen
Hausstand könnt ich für Sie auf die
Straße schleppen. Kommen Sie! Treten Sie
näher! Das ist mein Müslischüsselchen
morgens, so sieht es aus, das sind meine beiden
Auffülllöffel, hier ist meine aktuelle
Abwaschbürste, sie ist mir ans Herz gewachsen,
wie oft sie mir beisteht. Zweimal täglich
hab ich Erfolg mit ihr auf der ganzen Linie. Hochstöckig
sieht die Hotelfront über mich hinweg, kehrt
mich zum Asphalt. Die Säule vorm Portal steht
sich ihr Bein in den Leib, glatt aus Stein. Wie
weit man hier abliegt vom Schuß |
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MORGEN
Kaugummiblau der Morgen, minzfrisch.
Tauben auf dem Dach, Türken ein Stock tiefer.
Eierschale Fassade. Nichts rührt sich, Nachbars
schlafen, ohne sich zu mucksen. Einfach alle rausreißen
aus dem Schlaf. Aus der Traum! Krach schlagen
mit frühen Vögeln, Sturm klingeln bei
deutschen Übermietern. Wie selig sie sind
und stumm, sternhagelstumm, gar nicht neugierig
auf den Kampf, heller Himmel gegen dunkle
Nacht', der muß doch nicht immer gut ausgehen?
Sie schwänzen die Stille, die vogelfette
Morgenstille. Der erste Augenblick ist der schönste
beim Kaugummikauen. Danach zieht es sich. |
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