Bissiges Gras

Kindroman, Achter Verlag, Acht und Weinheim, März 2016

197 Seiten, oktav, gebunden.

Wie ich geschrieben hätte, wenn ich als Kind hätte schreiben können.

Gerade keine Gedichte mehr, aber auch noch kein ausgewachsener Roman. Frederike Frei hat mit dem Kindroman ein neues Genre geschaffen. Sie beschreibt die Welt aus der Sicht eines Kindes, voller (Wort-)Witz, aber auch mit dem notwendigen Ernst des Kindseins.

Eine Kostprobe:
"Sie erzählt mir die ganze Zeit was von einem Blitzableiter auf dem Dach. Der soll den Blitz an einem Eisenstab runter in den Garten schicken. Den Mann hab ich da oben noch nie gesehen. Nur den Schornsteinfeger. Den Riesenblitz, der glühweiß den Himmel anzündet und einen blendet, den will der ausgerechnet bei uns runter auf die Erde bugsieren? Durch die Regenröhre etwa? Die spinnen doch, die Großen."

ISBN 978-3-981767-43-8

Bissiges Gras (2016)

Bissiges Gras (2016)

Pia Soldan
Ich bin der Spieß

[Erschienen im Dezember 2016 in Am Erker Nr. 72, Münster, dort auch online zu lesen]

Was Wahrheit ist, daran beißen sich Erkenntnistheoretiker seit Jahrhunderten die Zähne aus. Gerade deshalb sprechen Kinder so wahrhaftig, weil sie ihre ganz eigene Wahrheit nicht zu zerkauen versuchen, sondern sie einfach ausspucken. Ungefiltert spritzt sie einem ins Gesicht und läuft warm und klebrig hinunter. Und manchmal brennt sie eben auch ein bisschen auf der Haut, wenn, zum Beispiel, die kleine Tini betet, die Brücke möge morgen auch noch in Flammen stehen, damit sie sie besichtigen kann
Es sind widerständige Passagen wie diese, die Frederike Freis Bissiges Gras so virtuos erscheinen lassen. Sparsam eingestreut in den Text stoßen diese kleinen Sätze auf, zwischen all der Unschuld und dem Humor, der aus der Kinderperspektive erwächst, die wohl unumgänglich ist für einen ‚Kindroman‘.
Von Frederike Frei erdacht, soll dieses neue Genre zeigen, „wie ich als Kind hätte schreiben mögen, wenn ich als Kind hätte schreiben können“. Trotzdem kann es sich hier kaum nur um kindliche Berichte handeln. Hochliterarisch hat Frei Prosaminiaturen aneinandermontiert, die sich gegenseitig bedingen, und genau das ausgelassen, was nicht gesagt werden darf, weil die Pointe schon erreicht ist. „Wenn es draußen gegen die Fensterläden prasselt und stürmt, ist das überhaupt mein Allerschönstes, dann bin ich drinnen draußen“ und damit Ende der Miniatur. Auch durch die Perspektive des kleinen Mädchens gewinnt dieser ‚Kindroman‘ an wirkungsvollen Auslassungen. Wie zu erwarten, kann Tini nicht nachvollziehen, was der Mann, der sich beim Spielen „ganz eng neben mich setzte auf den Bordstein und mir heiser ins Ohr flüsterte, ich soll mir gegenüber mal den Streifen angucken von Ankes Unterbüx zwischen ihren Beinen“, an etwas so Alltäglichem wie der Unterwäsche der Freundin so interessant finden könnte. Doch genau das macht die Szene wirkungsvoll. Bräche die Protagonistin in Entsetzen aus, wäre die Wirkung des Dialogs nur behauptet. Durch die kindliche Perspektive wird sie dagegen tatsächlich erzielt; und gesteigert durch Freis Wortwahl, die diese Perspektive (fast) nie verlässt. „Na und?“, lässt Frei Tini ihren Gesprächspartner fragen, und gerade diese Einfachheit gibt der Szene ihren absurden Humor.
Besonders witzig, und das auf einer viel einfacheren Ebene, wirken aber die Verben und Adjektive dieses Textes. Tini „witscht“ in die Besenkammer, „umärmelt“ ihre Freundin und „schnökert“ nicht, „weil das dann nicht gildet“. Was „pudelig“ ist, muss geordnet werden, und Schwester Elke ist „bedröbbelt“, weil die Äpfel „mulsch“ geworden sind. Irgendwo in der Mitte des Textes, wenn der erste Teil schon zu Ende ist, der in „Rotenburg/ Wümme“ spielt, und Tinis Familie bereits nach „Bonn am Rhein“ gezogen ist, wird diese Sprache auch ein bisschen anstrengend, zumal inhaltlich alles in bester Ordnung ist und es vor allem um Bälle, Geburtstage und Waschmaschinen geht.
Aber das geht bald vorbei, denn: „Ich bin der Spieß, alles dreht sich um mich. Die anderen johlen und klatschen und weiden sich schön dran, wie ich die Puppenmutti mit ihrer rosanen Schleife unterkrieg.“ Ein bisschen erschrocken ist man, war das doch bisher ein so frech sympathisches Kind, das da jetzt ein Mädchen verprügelt und es gerne tut. „Und dann bin ich umgefallen“. Mit einem gutartigen Hirntumor kommt Tini ins Krankenhaus. Nach längerer Regenerationsphase, während derer auch die Mutter erkrankt, wird auch diese „auf die Trage geschnallt“ und „möchte am liebsten sterben“. Als Tini nach einem Besuch bei der Mutter in der Kur „nur noch mein geblümtes Streifenkleid als Schönes“ hat, wird auch das Pathos allmählich ein bisschen zu viel. Aber auch das fängt Frei schnell wieder auf, diesmal mit „Apfelsaft und Zwetschgenkuchen mit Wespen drauf“. Denn wichtig ist in diesem Text, was genau jetzt passiert, was genau auf dieser Seite steht, die gerade aufgeschlagen ist, genau in dieser Zeile, genau in diesem Wort. Denn hier erzählt ein Kind.

Am Erker 72 (2016)

up